Am 30. November 2024 und erneut am 2. Januar 2025 prangerte die zivilgesellschaftliche Organisation CREDHOS öffentlich Mordpläne der bewaffneten Gruppe EGC gegen ihren Präsidenten Iván Madero an. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich in der nordkolumbianischen Region Magdalena Medio für Menschenrechte, Landrechte und den Umweltschutz einsetzen, darunter CREDHOS und FEDEPESAN, werden seit über einem Jahr bedroht und stigmatisiert. Im Kampf bewaffneter Gruppen um territoriale, politische, wirtschaftliche und soziale Kontrolle werden sie zunehmend zur Zielscheibe. Die kolumbianischen Behörden müssen für den Schutz dieser Organisationen sorgen.
Was ist das Problem?
Die zunehmende Bedrohung von Mitgliedern zivilgesellschaftlicher Organisationen und Angehörigen kleinbäuerlicher Gemeinschaften in der nordkolumbianischen Region Magdalena Medio gibt Anlass zu großer Sorge. Betroffen sind insbesondere der Verband für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadores artesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN) und die Organisation CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos), die in der Stadt Barrancabermeja ansässig sind.
CREDHOS prangerte öffentlich an, dass am 30. Oktober 2024 unter dem Namen Ejército Gaitanista de Colombia (EGC) schriftliche Drohungen gegen CREDHOS, FEDEPESAN und andere Organisationen der Zivilgesellschaft veröffentlicht wurden. Am 1. Januar 2025 wurde eine weitere öffentliche Drohung gegen CREDHOS bekannt. Dies folgt auf viele andere Drohungen, die in den letzten Monaten bekannt wurden. Die betroffenen Menschenrechtsgruppen wurden von bewaffneten Gruppen, die in dieser Region operieren, direkt bedroht, zu “militärischen Zielen” erklärt und darüber hinaus als Kollaborateure krimineller Banden in der Region stigmatisiert. Außerdem versuchte die EGC, sie zum Verlassen des Gebiets zu zwingen. CREDHOS hat auch den Schaden angeprangert, der ganzen Gemeinden in Magdalena Medio zugefügt wurde. So bedrohte die EGC die gesamte örtliche Gemeindeversammlung von San Lorenzo in der Gemeinde Cantagallo im Departamento Bolívar, um sie unter ihre Kontrolle zu bringen und die Vertreibung mehrerer Familien zu erzwingen. CREDHOS dokumentierte im Oktober und November 2024, dass Menschen in den ländlichen Gebieten von Magdalena Medio von Plänen der EGC gehört haben, den CREDHOS-Präsidenten Iván Madero anzugreifen.
Amnesty International dokumentiert die Gefährdung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien seit Jahren. Sowohl in persönlichen Gesprächen mit Behördenvertreter*innen als auch durch öffentliche Appelle und Aktionen auf sozialen und digitalen Plattformen machte die Menschenrechtsorganisation auf die Situation aufmerksam. Doch die Betroffenen und ihre Gemeinschaften werden weiterhin bedroht und angegriffen, nur weil sie ihre Rechte verteidigen. Die Reaktion der kolumbianischen Behörden zum Schutz der gefährdeten Menschenrechtsverteidiger*innen ist unzureichend.
Setzt euch für die Sicherheit von Iván Maduro ein!
Link zur Aktion: Website von Amnesty International
Hintergrundinformation
Die Region Magdalena Medio umfasst ein ausgedehntes Tal, durch das der Fluss Magdalena fließt. Erdöl ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen in der Region. Die Stadt Barrancabermeja liegt im Herzen von Magdalena Medio in der Provinz Santander. Dort wird die größte Raffinerie des Landes betrieben. In dem Gebiet gibt es außerdem Agrarindustrie, Bergbau und Viehzucht sowie weitere Wirtschaftszweige. In der Region Magdalena Medio haben eine basisdemokratische Organisierung und der Einsatz für die Menschenrechte seit Jahrzehnten Tradition. Gewerkschaftliche, feministische und menschenrechtliche Bewegungen machen die dortige besonders starke Zivilgesellschaft aus. Dieser Einsatz gegen verschiedene Formen von Ungerechtigkeit einerseits sowie der Streit um die territoriale, politische und wirtschaftliche Kontrolle in der Region zwischen verschiedenen – auch bewaffneten – Interessengruppen andererseits haben einen Nährboden für Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen geschaffen, die seit den 1980er-Jahren, wenn nicht schon länger, anhält. 2023 wurden in Magdalena Medio alarmierend hohe Zahlen von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere von Tötungsdelikten, verzeichnet. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Neuorganisation von mindestens vier bewaffneten Gruppen, die in der Region präsent sind, einschließlich der EGC, auch bekannt als AGC oder Clan del Golfo, derzeit die größte bewaffnete Gruppe des Landes, die die Region weitgehend kontrolliert.
Der Verband für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadores artesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN) ist am See San Silvestre in der Nähe der Stadt Barrancabermeja tätig. FEDEPESAN kämpft gegen die Wasserverschmutzung durch regionale Unternehmen sowie die Präsenz von kriminellen Organisationen, die in Drogen- und Menschenhandel verwickelt sind – auch mit juristischen Mitteln. In diesem Zusammenhang hat die Präsidentin von FEDEPESAN, Yuly Velázquez, zahlreiche Drohungen und Angriffe erlebt, die von Amnesty International dokumentiert wurden, darunter eine Drohung im November 2020, Schüsse auf ihr Haus im Januar 2021, Einschüchterungen bei Protestaktionen im August 2021, ein Angriff mit einer Schusswaffe im Mai 2022 und ein weiterer im Juli 2022 (bei dem ein Wachmann ihres Schutzprogramms verletzt wurde). Nach Drohungen gegen den stellvertretenden Vorsitzende von FEDEPESAN im Februar 2021 durch die Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional – ELN) startete Amnesty International schon damals eine Urgent Action. Amnesty hat zudem Mängel in der Umsetzung des Schutzprogramms dokumentiert, das die kolumbianische Regierung Yuly Velásquez aufgrund ihres hohen Risikos über die Nationale Schutzeinheit (UNP) zur Verfügung stellt.
Die unabhängige Menschenrechtsorganisation CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) wurde 1987 gegründet und wird seit mehreren Jahren von Amnesty International begleitet. Im Jahr 2000 ordnete die Interamerikanische Menschenrechtskommission aufgrund von Drohungen durch paramilitärische Gruppen Schutzmaßnahmen für CREDHOS an. Im Jahr 2016 erkannte die Entschädigungsstelle der kolumbianischen Regierung CREDHOS als Organisation an, der kollektive Wiedergutmachung zusteht, da ihre Mitglieder schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des bewaffneten Konflikts erlitten haben.
CREDHOS hat auf jüngste Operationen der kolumbianischen Polizei und der Generalstaatsanwaltschaft gegen die EGC hingewiesen, beispielsweise auf die Festnahme von AKA “Bernabé” im September 2024, der beschuldigt wird, für den Mord an Filadelfo Anzola, einem Menschenrechtsverteidiger und Mitglied von CREDHOS, verantwortlich zu sein. Die Analyse von CREDHOS hebt jedoch die Beteiligung von Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern der Streitkräfte an der bewaffneten Gruppe EGC hervor. So führte beispielsweise im September 2024 eine Polizeioperation gegen die EGC zur Tötung von AKA “Zeus”, einem pensionierten Mitglied der kolumbianischen Armee, der bis August als Zeuge vor dem Übergangsgericht (der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden – JEP) zugelassen war und zuvor von CREDHOS als Kommandeur der EGC in der Region Magdalena Medio denunziert worden war. Außerdem wurde der pensionierte Oberst der kolumbianischen Armee José Alejandro Castro Cadavid von der Polizei festgenommen. Er war bis 2022 aktives Mitglied der Armee und wird von der Generalstaatsanwaltschaft beschuldigt, Kommandeur der EGC im Süden des Departements Bolivar zu sein, einem Gebiet, das zur Region Magdalena Medio gehört.
Amnesty International hat bestätigt, dass CREDHOS-Mitglieder in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der Präsenz bewaffneter Organisationen in dem Gebiet, in dem CREDHOS tätig ist, weiterhin bedroht und angegriffen werden. Im April 2021 forderte Amnesty International in einer Urgent Action den Schutz von CREDHOS-Mitgliedern, da diese zu diesem Zeitpunkt massiv bedroht wurden. Der derzeitige Schutz durch die kolumbianische Regierung reicht nicht aus, um dem Ausmaß der Bedrohung wirksam zu begegnen, dem CREDHOS in den letzten Jahren ausgesetzt war. Am 9. Februar 2024 forderte Amnesty International in einer weiteren Urgent Action Schutz für CREDHOS, nachdem verschiedene bewaffnete Gruppen der Region in Flugblättern öffentliche Drohungen gegen den Präsidenten der Organisation ausgesprochen hatten. Am 14. Februar prangerte CREDHOS öffentlich an, dass in der Nacht des 13. Februar ein weibliches Mitglied der Organisation angegriffen wurde, indem zwei Personen eine Handgranate in ihr Haus warfen. Durch die Explosion wurden mehrere Mitglieder ihrer Familie verletzt. In einer am gleichen Tag veröffentlichten zweiten Urgent Action forderte Amnesty International den Generalstaatsanwalt auf, die Angriffe auf die Mitglieder von CREDHOS zu untersuchen. Diese dritte Urgent Action folgt auf Bekanntmachungen von CREDHOS im November 2024 und Januar 2025.