Just transition oder “grüner Kolonialismus”?

Bericht | Ursprünglich veröffentlich von Amnesty International in Finnland, Schweden und Norwegen | 31. Januar 2025

Wie Mineralienabbau und neue Energieprojekte ohne freie, vorherige und informierte Zustimmung die Lebensgrundlagen und die Kultur der indigenen Sámi in Schweden, Norwegen und Finnland bedrohen

Ausführliche Zusammenfassung

Der Klimawandel ist nicht nur die größte Umweltkatastrophe unserer Zeit, sondern auch eine  daraus resultierende Menschenrechtskrise. Obwohl der Klimawandel global ist, fordert er oft seinen größten Tribut von den bereits verwundbaren Ländern, Menschen und Gemeinschaften. Die indigenen Völker der Arktis gehören zu den ersten, die mit den direkten Folgen des Klimawandels konfrontiert sind und reagieren besonders empfindlich auf seine Auswirkungen.

Die Welt steht an einem Wendepunkt, und alle Staaten müssen dringend ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels verstärken. Die Treibhausgasemissionen, die die Klimakrise vorantreiben, müssen schnell reduziert werden. Doch dies darf nicht auf Kosten derjenigen geschehen, die bereits durch den Klimawandel geschädigt sind. Der Übergang zu erneuerbaren Energien muss daher sowohl gerecht als auch mit den Menschenrechten vereinbar sein.

Dieser Bericht befasst sich mit Klimagerechtigkeit und einer gerechten Energiewende aus der Perspektive der Menschenrechte der Samen als indigenes Volk. Unsere Forschung zeigt, warum ihre Rechte, insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung, einschließlich der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC), in diesem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung sind.

Dieser Bericht wurde in Zusammenarbeit mit dem Sámi-Rat und Amnesty International Norwegen, Schweden und Finnland erstellt. Es ist der erste ausführliche Bericht von Amnesty International, der die Menschenrechtsrisiken und -probleme der indigenen Sámi in den nordischen Ländern untersucht.

Klimawandel, Energiewende und das Sámi Volk

Der Klimawandel bedroht die Kultur und die Existenz des indigenen Volkes der Sámi auf zweierlei Weise: erstens durch direkte Umwelteinflüsse wie sich verändernde Wetterbedingungen und Ökosysteme und zweitens durch die zunehmende Zahl von Energieprojekten und Ressourcenabbau in Sápmi im Namen einer „grünen“ Entwicklung und „sauberen“ Energiewende.

Während die Klimakrise Menschen und Ökosysteme weltweit betrifft, sind die Veränderungen in den arktischen Gebieten besonders gravierend. Diese erwärmen sich fast viermal so schnell wie der globale Durchschnitt.

Die indigenen Völker der Arktis reagieren potenziell am empfindlichsten auf den Klimawandel, da sie in enger Wechselwirkung mit der natürlichen Umwelt leben. Zusätzlich zu den sich ändernden Wetterbedingungen bedrohen Umweltveränderungen im Zusammenhang mit der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung und der intensiven Nutzung natürlicher Ressourcen die Gesundheit, das Wohlergehen und die gesamte Kultur der Sámi und anderer arktischer indigener Völker.

Für das Volk der Sámi in Norwegen, Schweden und Finnland hat der Klimawandel auch neue Bedrohungen im Zusammenhang mit der Landnutzung mit sich gebracht. Alle drei Länder suchen nach Lösungen für das Problem des Klimawandels, indem sie die Produktion von erneuerbaren Energien und damit verbundenen Mineralien und anderen Rohstoffen steigern. Viele groß angelegte industrielle Entwicklungen in Sápmi werden von den Behörden als Teil des Übergangs weg von fossilen Brennstoffen und hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft gerechtfertigt. Aus der Sicht der Sámi sind diese Projekte oft verheerend und führen zu Streitigkeiten zwischen den Sámi-Gemeinschaften und den staatlichen Behörden.

Rechte der indigenen Völker

Die Sámi haben kollektive Rechte als indigenes Volk, die in internationalen Verträgen verankert sind. Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein verbindliches Recht im internationalen Recht, das sich darauf bezieht, dass indigene Völker ihren eigenen politischen Status frei bestimmen und die von ihnen gewählte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung durch FPIC verfolgen können. Die Autonomie über Sprache und Kultur ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Rechte indigener Völker.

Nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards haben indigene Völker das Recht auf Selbstbestimmung und darauf, Entscheidungen über Angelegenheiten zu treffen, die ihr Leben betreffen. Das Recht der indigenen Völker auf FPIC ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. FPIC verlangt von den Staaten, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie bei Entscheidungen, die sich auf ihre Menschenrechte auswirken können, zu konsultieren, um ihre Zustimmung zu erhalten. Die Umsetzung des FPIC ist von entscheidender Bedeutung, um zu verhindern, dass industrielle Energieentwicklungen die Menschenrechte indigener Völker verletzen.

In diesem Bericht wird untersucht, wie der internationale Menschenrechtsstandard FPIC derzeit in Schweden, Norwegen und Finnland gesetzlich umgesetzt wird. Er umfasst drei Fallstudien: die Fosen-Windparks in Norwegen, eine geplante Nickelmine in Rönnbäck,1 Schweden, und Genehmigungsverfahren für die Mineralienexploration im finnischen Käsivarsi-Gebiet. Unsere Forschung beleuchtet, wie die lokalen Gemeinschaften der Samen zunehmend mit dem kumulativen Druck konfrontiert werden, der mit „grünen“ Energiewendeprojekten auf ihrem traditionellen Land verbunden ist.

Forschungsmethodik

Der Bericht stützt sich auf eine umfangreiche Sekundärforschung, einschließlich einer Überprüfung der einschlägigen Gesetze und Politiken in Norwegen, Schweden und Finnland. Die drei Fallstudien, die sich auf Landnutzungskonflikte konzentrieren, wurden durch die Prüfung offizieller Dokumente und Sekundärliteratur sowie durch persönliche, Online- und Telefoninterviews entwickelt.

Zentrale Ergebnisse

In diesem Bericht wird dargelegt, dass trotz der jüngsten Schritte zur Stärkung der Gesetzgebung für Konsultationen und Kooperationsprozesse mit dem samischen Volk in Finnland, Schweden und Norwegen den Vertreter*innen der Samen immer noch rechtliche Garantien fehlen, die ihre sinnvolle Beteiligung und effektive Konsultation bei Entscheidungen über die vorgeschlagene Nutzung ihres traditionellen Landes sicherstellen. Eine gründliche Analyse der aktuellen Gesetzgebung Finnlands, Schwedens und Norwegens für diesen Bericht zeigt, dass es in allen drei Rechtssystemen an Schutzmechanismen fehlt, die Entscheidungsträger*innen verpflichten, vor der Einleitung von Landnutzungsprojekten, wie Windkraft und Bergbau, die ihre Rechte als indigenes Volk erheblich beeinträchtigen könnten, die Zustimmung der Sámi einzuholen.

Die vorgestellten Fallstudien zeigen, wie unzureichende Gesetze und Politiken zu jahrelangen Streitigkeiten mit hohen persönlichen Kosten für die betroffenen Sámi führen können. Die daraus resultierende Ungewissheit über die derzeitige und geplante Landnutzung ist für die samischen Gemeinschaften belastend und frustrierend und behindert die Entwicklung ihrer Kultur und traditionellen Lebensgrundlagen. Das mangelnde Verständnis der nationalen Behörden für die Kultur der Sámi, das Machtungleichgewicht und die eingeschränkten Möglichkeiten für eine sinnvolle Beteiligung der Sámi stellen auch eine Herausforderung für die Verwirklichung der Rechte und die Möglichkeit, Rechtsmittel für die betroffenen Sámi zu erlangen, dar.

Wichtigste Empfehlungen

In Anbetracht der Ergebnisse dieses Berichts fordern Amnesty International und der Sámi-Rat die Regierungen Schwedens, Finnlands und Norwegens auf, die Menschenrechte indigener Völker, einschließlich des Rechts auf FPIC, als wesentlichen Bestandteil einer gerechten Energiewende anzuerkennen. Um die Menschenrechte angesichts der Klimakrise zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen, sind alle drei Staaten verpflichtet, so schnell wie möglich aus der Produktion und dem Verbrauch fossiler Brennstoffe auszusteigen. Um sicherzustellen, dass die Energiewende im Einklang mit den Menschenrechten steht, sollten alle drei Staaten außerdem:

  • Dringend die rechtliche Anerkennung des Volkes der Sámi stärken, indem sie in voller Konsultation und Zusammenarbeit mit dem Volk der Sámi eine Gesetzgebung verabschieden, die sicherstellt, dass die freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) für geplante Projekte eingeholt wird, die erhebliche Auswirkungen auf das Volk der Sámi und sein Recht auf die Ausübung seiner Kultur haben können.
  • Verabschiedung von Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen im Zusammenhang mit der Klima- und Energiewende die Menschenrechte der Sámi respektiert und die Werte, Perspektiven und das traditionelle Wissen der Sámi einbezieht.
  • Sicherstellen, dass bei allen in Sápmi geplanten Landnutzungsprojekten die Initiator*innen die Vertreter*innen der Sámi konsultieren, um ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung zu erhalten. Keine Landnutzungsentwicklungen im Bergbau oder Energiesektor dürfen ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung der betroffenen Sámi stattfinden.
  • Bereitstellung ausreichender Ressourcen für die Vertreter*innen der Sámi, damit sie wirksam an den Konsultationen teilnehmen können, einschließlich der Finanzierung von rechtlicher und technischer Beratung und des Aufbaus von Kapazitäten, entsprechend den von den betroffenen Sámi geäußerten Bedürfnissen.
  • Einrichtung innerstaatlicher und sektorspezifischer Mechanismen für den Vorteilsausgleich und die Entschädigung im Zusammenhang mit jeder Entscheidung zur Einschränkung der Rechte indigener Völker im Rahmen der außergewöhnlichen Umstände gemäß Artikel 46 der UNDRIP.
  • Sicherstellen, dass Entscheidungsträger*innen und Beamt*innen, die mit Angelegenheiten befasst sind, die sich auf die Rechte der Sámi auswirken können, auch auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene und in den Gerichtssystemen, durch Schulungen und andere Ressourcen über angemessene Kenntnisse über die Kultur und die Lebensgrundlagen der Sámi sowie über die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen des Staates verfügen.
  • Verbreitung von Wissen in der Öffentlichkeit, auch in Schulen, darüber, dass das Volk der Sámi und indigenes Wissen Teil der gemeinsamen Lösung der Gesellschaft für den Klimawandel, den Übergang zum Klima und die Anpassung an den Klimawandel sind.
  • Verabschiedung eines nationalen Plans zur Umsetzung der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker.

Spezifische Empfehlungen an jede einzelne Regierung finden Sie auf Seite 75 am Ende des Berichts.