Einzigartige Klimaklage vor dem Oberlandesgericht in Hamm – Saúl Luciano Lliuya verlangt unternehmerische Haftung des Kohlekonzerns RWE für Klimarisiken

Kläger Saúl Luciano Lliuya beim Gletschersee Palcacocha, der aufgrund der Gletscherschmelze im Zuge des Klimawandels größer wird.

Beitragsbild: Foto: Walter Hupiu Tapia / Germanwatch e.V.

von Alexa Schurer und Giacomo Sebis

Am 17.03.2025 und 19.03.2025 finden im bahnbrechenden Verfahren des peruanischen Bauern Saúl gegen den Energiekonzern RWE vor dem Oberlandesgericht Hamm mündliche Verhandlungen statt. In diesem Verfahren geht es erstmals um mögliche Haftungsfragen von Unternehmen für ihren Beitrag zur Klimakrise. Nach erfolgreicher Zulassung der Klage zur Verhandlung und einer umfassenden Beweiserhebung im Frühjahr 2022 folgt nun die nächste bedeutsame Etappe im Prozess.

1. Hintergrundinformationen

Am 24.11.2015 klagte der Andenbauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya aus Peru vor dem Landgericht Essen gegen den Energiekonzern RWE. Der Grund: seine Heimatstadt Huaraz ist durch die Klimaerwärmung von einer Flutwelle bedroht. Saúl und die 50.000 weiteren Bewohner*innen der Stadt schauen besorgt auf das Anwachsen eines Gletschersees. Aufgrund der Gletscherschmelze könnte eine Eislawine den See zum Überlaufen bringen und schließlich eine Flutwelle auslösen. „Die Frage ist nicht, ob eine Flutwelle droht, sondern wann und wie schlimm sie uns trifft“, so Saúl Luciano Lliuya. In den letzten 50 Jahren ist bereits mehr als die Hälfte des Gletschereises in Peru geschmolzen. Der Klimawandel sorgt zudem für Herausforderungen der Landwirtschaft in Huaraz, da eine Anpassung an das wandelnde Klima Schwierigkeiten mit sich bringt.

2. Weshalb die Klage (speziell) gegen RWE?

Als einer der größten CO2-Emittenten Europas trägt der Kohlekonzern RWE maßgeblich zur Klimakrise bei. Damit steigt durch das Unternehmen auch die Wahrscheinlichkeit einer Klimakatastrophe in Huaraz. Saúl möchte mit der Klage eine Beteiligung von RWE an den Kosten für Schutzmaßnahmen gegen Überschwemmungen in der Stadt erzielen. Zu den Schutzmaßnahmen gehören beispielsweise Dämme und ein Frühwarnsystem für Flutwellen. Die Gesamtkosten dafür belaufen sich auf ca. vier Millionen US-Dollar. Dadurch, dass der Kohlekonzern RWE für schätzungsweise 0,47 % der weltweiten CO2-Emissionen seit Beginn des Industriezeitalters verantwortlich ist, soll dieser sich zu einem gleichen Anteil an den Gesamtkosten beteiligen, umgerechnet 21.000 Euro. RWE selbst sieht sich jedoch nicht in einer Zahlungsverantwortung: „Einzelne Emittenten haften nicht für allgemeingültige und global wirksame Prozesse wie den Klimawandel.“

3. Wie war der bisherige Prozessverlauf?

Seinen Ursprung nahm das Verfahren in der Klage von Saúl gegen RWE vor dem Landgericht Essen vom 24.11.2015 – also vor gut zehn Jahren. Mit den oben genannten Argumenten versuchte Saúl – unterstützt von Germanwatch und vertreten von der bekannten Klimaanwältin Roda Verheyen – eine Haftung von RWE zu erstreiten. Am 15.12.2016 allerdings wies das Landgericht die Klage ab. Wesentliche Begründung hierfür war, dass eine kausale Beziehung zwischen den Treibhausgasemissionen von RWE und den zunehmenden Klimarisiken in Huaraz nur schwer zu ziehen sei, sprich, die Emissionen von RWE nicht direkt für die dortigen Klimarisiken verantwortlich sind. Eine individuelle Zurechnung von Klimarisiken zu Lasten von RWE wurde also abgelehnt.

Hiergegen legte Saúl am 24.01.2017 Berufung vor dem zuständigen Oberlandesgericht Hamm ein. Im November 2017 beschloss dieses, die Berufung für zulässig zu erachten. Allein dieser Umstand ist rechtsgeschichtlich bedeutsam: Erstmals wurde so eine Klage zugelassen, in der ausführlich über die komplexen rechtlichen Fragen rund um unternehmerische Verantwortlichkeit für Klimarisiken verhandelt werden könnte. Dieses Verfahren könnte zudem einen Präzedenzfall für künftige Klimaklagen und einen Beitrag zu internationaler Klimagerechtigkeit schaffen.

Mit Beschluss vom 30.11.2017 entschied das Oberlandesgericht Hamm dann auch, Beweis zu erheben, um den Sachverhalt ausführlicher aufzubereiten. Hierzu wurde in den folgenden Monaten ein Sachverständiger berufen, der im Mai 2022 mit einigen Richter*innen des Oberlandesgerichts Hamm in Peru einen Ortsbesuch durchführte. Das Gutachten legte der Sachverständige im August 2023 vor. Die hierbei aufgeworfenen Fragen lauteten:

  • Besteht eine ernsthaft drohende Beeinträchtigung des Hausgrundstücks des Klägers?
  • Inwieweit haben der Klimawandel und die von RWE freigesetzten CO2-Emissionen zu dieser Beeinträchtigung beigetragen?

Am 04.02.2025 dann wurden die Termine für die mündlichen Verhandlungen am 17.03.2025 und 19.03.2025 bekannt gegeben.

4. Was ist das Besondere an der Klimaklage von Saúl?

Das wesentliche Anliegen von Saúl ist es, eine Verantwortlichkeit von RWE für die oben genannten Klimarisiken herzuleiten. Hierzu ist es aus rechtlicher Sicht notwendig, dass RWE eine gesetzlich verankerte Pflicht hat, für Risiken und Schäden aufzukommen. Dementsprechend ist es notwendig, mittels einer anwendbaren Vorschrift ganz konkret zeigen zu können, dass eine derartige Haftungspflicht besteht.

Die rechtliche Begründung ist also von essentieller Bedeutung. Saúl stützt sich hauptsächlich auf § 1004 BGB des deutschen Zivilrechts. Diese Vorschrift behandelt normalerweise Streitigkeiten zwischen Grundstückseigentümer*innen, wenn also beispielsweise Überhang von Bäumen, herabfallendes Obst oder sonstige Dinge ein Grundstück negativ beeinträchtigen oder seine Nutzung einschränken. In diesen Fällen hat der*die Eigentümer*in des beeinträchtigten Grundstücks einen Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung der Störung.

Diese Grundidee wird im Verfahren von Saúl innovativ aufgegriffen: Anstatt eines klassischen nachbarschaftlichen Verhältnisses mit benachbarten oder nah beieinander liegenden Grundstücken soll hier eine Beseitigung bzw. Unterlassung der Störung eines Grundstückes über weite Strecken hinweg bewerkstelligt werden. Es soll so ein „globales Nachbarschaftsverhältnis” gelten, durch welches eine Verpflichtung von RWE zum Ausgleich von Klimarisiken in anderen Ländern konstruiert werden soll. Insofern soll § 1004 BGB für eine eher unübliche Situation herangezogen werden, um hier Haftungspflichten zu kreieren.

Dies ist aus zahlreichen Gründen jedoch komplex. Am wichtigsten wird es sein, zu klären, ob die Emissionen von RWE überhaupt ganz konkret mitursächlich für eine mögliche Gletscherschmelze in Huaraz sein können – RWE also gerade durch seine Emissionen eine Beeinträchtigung des Grundstücks von Saúl bewirken kann. Zunächst müsste also festgestellt werden, ob Treibhausgasemissionen überhaupt zu einer Gletscherschmelze konkret in Huaraz führen. Außerdem ist es recht schwierig nachzuweisen, dass die Treibhausgasemissionen eines bestimmten Emittenten zu einem bestimmten Risiko führen – Emittenten gibt es nämlich viele, ihre Beiträge vermischen sich in der Luft uns sind zum Teil sehr gering, und wer abschließend verantwortlich ist, erscheint deshalb nicht ganz eindeutig. Dies erschwert eine konkrete Zuordnung zu ganz bestimmten Emittenten.

Dennoch stellt die Klägerseite sich diesen Herausforderungen. Wesentliche angeführte Gründe hierfür sind nach Ansicht der Klägerseite, dass moderne wissenschaftliche Methoden es mittlerweile ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und bestimmten Klimarisiken – hier also CO2-Emissionen und Gletscherschmelzen – herzustellen. Die Handlungen von RWE seien also naturwissenschaftlich ursächlich und zudem typisch und vorhersehbar in Bezug auf die Klimarisiken in Huaraz. Zudem soll RWE nicht die gesamten Kosten für die klimabedingten Anpassungen zahlen – vielmehr nur anteilig in Höhe seiner globalen CO2-Emissionen, sodass hier eine interessengerechte Haftungsbegrenzung erfolgt.

5. Was erwartet die Verfahrensbeteiligten?

Die Verhandlungen finden an beiden Tagen im Saal A-006 des Oberlandesgerichts Hamm statt und sind öffentlich. Es ist zu erwarten, dass eine Auseinandersetzung mit den zuvor aufgeführten Argumenten erfolgen wird. Zudem dürften die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens intensiv diskutiert werden. Insofern könnten hier die Grundlagen für eine große Chance geschaffen werden, globaler Klimagerechtigkeit Rechnung zu tragen. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens dürfte es einen medialen Andrang geben – und um die Verhandlungstage herum sind im März zahlreiche Veranstaltungen geplant, um die mediale Aufmerksamkeit für dieses historische Verfahren zu erhöhen.

Quellen