Am 15. Februar 2024 gab der kolumbianische Fischerei- und Umweltverband FEDEPESAN bekannt, dass sich seine Mitglieder gezwungen sehen, kollektiv aus den von ihnen bewohnten Gebieten der Seen und Flüsse rund um die Stadt Barrancabermeja wegzuziehen. In den vergangenen Jahren und auch den ersten beiden Monaten des Jahres 2025 waren Mitglieder von FEDEPESAN zahlreichen Schikanen, Drohungen, Raubüberfällen, Erpressungen und sogar Mordversuchen durch bewaffnete Gruppen ausgesetzt, die die Kontrolle über die Gewässer zu ihrem eigenen Vorteil anstrebten oder Vergeltung übten, weil FEDEPESAN mögliche Fälle von Umweltverschmutzung und Korruption angeprangert hatte. Amnesty International fordert die kolumbianische Polizei auf, die Sicherheit der FEDEPESAN-Mitglieder zu gewährleisten und deren Vertreibung zu verhindern.
Was ist das Problem?
Die nahe Barrancabermeja lebenden Mitglieder des Fischerei- und Umweltverbandes FEDEPESAN (Federación de Pescadores Artesanales Ambientalistas y Turísticos del Departamento de Santander) sind in Gefahr, vertrieben zu werden. Dies gilt insbesondere für Fischer*innen, die ihre Fangtätigkeit auf dem See von Ciénaga de San Silvestre sowie den Flüssen Sogamoso und Magdalena, Caño San Silvestre, Caño Rosario und Quebraza El Zarzal in der Gegend um Barrancabermeja (Region Magdalena Medio) ausüben.
Am 15. Februar 2025 gaben die Fischer*innen von FEDEPESAN bekannt, dass sie sich gezwungen sehen, ihr Gebiet zu verlassen. Sie werden seit Jahren schikaniert und sind 2025 bereits bedroht worden. Die Behörden unternehmen nicht genügend, um die FEDEPESAN-Mitglieder zu schützen.
Zu den zahlreichen Schikanen, denen Mitglieder von FEDEPESAN ausgesetzt sind, gehören telefonische und direkte Drohungen – manchmal in Form von Erpressung, manchmal weil sie von bewaffneten Gruppen, die die Kontrolle über die Seen und Flüsse der Region anstreben, als Hindernis betrachtet werden. Sie sind zudem in der Vergangenheit angegriffen worden, weil sie die Wasserverschmutzung oder mögliche Korruptionsfälle angeprangert hatten, die den Umweltschutzmaßnahmen in ihrem Gebiet zuwiderlaufen. Angesichts dieser Umstände haben Mitglieder von FEDEPESAN Angst, fischen zu gehen, und können deshalb weder ein Einkommen erzielen noch ihre Familien ernähren. Diese Situation bedroht ihre Grundrechte, darunter die Rechte auf Arbeit, Nahrung und Sicherheit, sowie ihre Landrechte.
Bitte setzt euch für die Fischer*innen und Umweltschützer*innen von FEDEPESAN ein!
Link zur Aktion: Website von Amnesty International
Hintergrundinformation
Die Region Magdalena Medio umfasst ein ausgedehntes Tal, durch das der Fluss Magdalena fließt. Erdöl ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen in der Region. Die Stadt Barrancabermeja liegt im Herzen von Magdalena Medio in der Provinz Santander. Dort wird die größte Raffinerie des Landes betrieben. In dem Gebiet gibt es außerdem Agrarindustrie, Bergbau und Viehzucht sowie weitere Wirtschaftszweige. Aufgrund der fruchtbaren Böden und des Reichtums an wertvollen Ressourcen wie Öl und Wasser gilt die Region Magdalena Medio im Norden Kolumbiens als strategisch wichtig, und es kommt dort immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Stellen und bewaffneten Gruppen. In der Region Magdalena Medio haben eine basisdemokratische Mobilisierung und der Einsatz für die Menschenrechte außerdem seit Jahrzehnten Tradition. Die Kombination aus gewerkschaftlicher Organisation, feministischen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen und der Verteidigung der Menschenrechte haben vor Ort zu einer starken Zivilgesellschaft geführt. Dieser Einsatz gegen verschiedene Formen von Ungerechtigkeit einerseits sowie der Streit um die territoriale, politische und wirtschaftliche Kontrolle in der Region zwischen verschiedenen – auch bewaffneten – Interessengruppen andererseits haben einen Nährboden für Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen geschaffen, die seit den 1980er-Jahren, wenn nicht schon länger, anhält. In den vergangenen Jahren wurden in Magdalena Medio alarmierend hohe Zahlen von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere Tötungsdelikte, verzeichnet. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen mindestens vier bewaffneten Gruppen in der Region, darunter die Gruppe Ejército Gaitanista de Colombia (EGC), auch bekannt als AGC oder Clan del Golfo, die derzeit größte bewaffnete Gruppe des Landes mit der ausgedehntesten Kontrolle über die Region.
Der Verband für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadores artesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN) ist am See San Silvestre in der Nähe der Stadt Barrancabermeja tätig. FEDEPESAN hat in der Vergangenheit über Wasserverschmutzung durch regionale Unternehmen und die Anwesenheit bewaffneter Gruppen berichtet, die die Kontrolle über das Gebiet und seine Gewässer anstreben. In Zusammenhang mit den Aktivitäten von FEDEPESAN hat die Vorsitzende, Yuly Velásquez, zahlreiche Formen von Gewalt erlebt, die von Amnesty International dokumentiert wurden. Dazu zählen eine Drohung im November 2020, Schäden an ihrem Haus durch Schüsse im Januar 2021, Einschüchterungen bei Protestaktionen im August 2021, ein Angriff mit einer Schusswaffe im Mai 2022 und ein weiterer im Juli 2022 (bei dem ein Wachmann ihres Schutzprogramms verletzt wurde). Im Juni 2022 forderte Amnesty International die Regierung mittels einer Urgent Action auf, FEDEPESAN zu schützen. Amnesty International hat Mängel in der Umsetzung des Schutzprogramms dokumentiert, das die kolumbianische Regierung Yuly Velásquez aufgrund ihres hohen Risikos über die Nationale Schutzeinheit (UNP) zur Verfügung stellt, und angesichts des hohen Risikos, dem sie ausgesetzt ist, um einen besseren Schutz gebeten. Yuly Velásquez wurde 2024 mit dem Menschenrechtspreis von Amnesty International in Deutschland ausgezeichnet.
Im Februar 2024, März 2024 und Januar 2025 forderte Amnesty International die Behörden in Appellen auf, für Schutz zu sorgen und zielführende gerichtliche Untersuchungen durchzuführen. Dem vorausgegangen waren Drohungen der bewaffneten Gruppe EGC gegen FEDEPESAN und die Menschenrechtsorganisation CREDHOS, die FEDEPESAN vor Ort unterstützt.
Im Januar und Februar 2025 meldete FEDEPESAN den Behörden verschiedene Drohungen gegen seine Mitglieder, die die Angst unter den Fischer*innen der Organisation noch verstärkten. Diese Drohungen fanden jedoch bei den örtlichen Behörden, auch bei der Polizei, keine angemessene Beachtung. Angesichts dieser Umstände gab die FEDEPESAN am 15. Februar eine öffentliche Erklärung ab, in der sie erklärte, dass sie sich gezwungen sehe, ihr Gebiet mit ihren Familien zu verlassen. Diese Vertreibung würde nicht nur ihre Fähigkeit gefährden, weiterhin nachhaltige Fischerei zu betreiben, sondern auch ihren Einsatz für den Umweltschutz am See und am Fluss San Silvestre unmöglich machen.