IPCC-Bericht zeigt deutlich, wie der Klimawandel Leben gefährdet und Ungleichheit verstärkt

IPCC Bericht, Februar 2022

ÖFFENTLICHE ERKLÄRUNG VON AMNESTY INTERNATIONAL | Originalerklärung (englisch): hier.
28. Februar 2022 | AI-Index: IOR 40/5271/2022


Der heutige Bericht des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) über Klimaauswirkungen, Anpassung und Anfälligkeit liefert den eindeutigen Beweis, dass das Versäumnis der Regierungen, die Emissionen rasch zu reduzieren, zu unumkehrbaren Veränderungen der Bedingungen führt, die die Menschheit, die Natur und die Ökosysteme erhalten. Mehr als je zuvor ist klar, dass diese Versäumnisse Menschenrechtsverletzungen darstellen.

In dem Bericht liefert der IPCC die bisher detailliertesten Belege dafür, wie Marginalisierung und Diskriminierung die klimabedingten Schäden verschlimmern und erkennt ausdrücklich die unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels an, die durch historische und andauernde Strukturen der Ungerechtigkeit, wie z. B. Kolonialismus, verursacht werden, insbesondere für viele indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Der Bericht zeigt, dass zwischen 2010 und 2020 die Zahl der Todesfälle durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in stark gefährdeten Regionen 15-mal höher war als in Regionen mit sehr geringer Anfälligkeit für den Klimawandel.

Alle Regierungen haben die Zusammenfassung des IPCC-Berichts gelesen und gebilligt. Sie haben keine Ausrede. Sie sind sich der Verluste, denen die Menschheit bereits ausgesetzt ist, und der Bedrohungen, die ihnen bevorstehen, wenn sie ihren Kurs nicht ändern, voll bewusst. Sie müssen in Absprache mit den betroffenen Gruppen dringend politische und rechtliche Änderungen beschließen, um rasch aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen und eine rasche und gerechte Umstellung der Energienutzung vorzunehmen, die Diskriminierung, Unterdrückung und Ungleichheit aufhebt und die Rechte von Arbeitnehmer_innen, Gemeinschaften, die von der auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft abhängig sind, indigenen Völkern und anderen, deren Menschenrechte gefährdet sind, schützt und fördert.

Die wohlhabenden Staaten müssen ihren Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung deutlich erhöhen, einschließlich erheblicher Mittel zur Deckung der Verluste und Schäden der betroffenen Menschen. Mit jedem Tag, an dem Staaten Maßnahmen aufschieben oder vermeiden – oder schlimmer noch, Rückschritte machen – treffen sie die bewusste Entscheidung, Menschen ihre Menschenrechte zu verweigern.

Wie der UN-Generalsekretär bei der Vorstellung des Berichts sagte, sind die Ergebnisse des Berichts erzürnend, aber wir müssen die Wut jetzt in Taten umsetzen. Angesichts der Klimakipppunkte brauchen wir Mobilisierungskipppunkte. Die Menschen auf der ganzen Welt müssen in der Lage sein ihre Rechte einzufordern. Eine Massenmobilisierung ist unerlässlich, um den Staaten die Lizenz zu entziehen, mit der Zukunft der Menschheit zu spielen.

Der Bericht zeigt, dass sich die schwerwiegenden Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels im Vergleich zur IPCC Einschätzung aus dem Jahr 2014 beschleunigen und bereits jetzt schwerwiegende Verluste und Schäden verursachen, einschließlich des Verlusts von Leben, Existenzgrundlagen und biologischer Vielfalt. Diese klimabedingten Auswirkungen beeinträchtigen die Menschen in der Wahrnehmung ihrer Menschenrechte erheblich. Zum Beispiel wurde das Recht auf Nahrung beeinträchtigt, da der Klimawandel das Wachstum der landwirtschaftlichen Produktivität weltweit verlangsamt. Das Recht auf Wasser wird stark beeinträchtigt, da die Hälfte der Weltbevölkerung derzeit zumindest während eines Teils des Jahres aufgrund von klimatischen und nicht-klimatischen Ursachen unter schwerem Wassermangel leidet. Auch das Recht auf Leben und Gesundheit wird beeinträchtigt, da zum Beispiel immer mehr immer mehr Menschen an extremer Hitze oder an klimabedingten, durch Lebensmittel oder Wasser übertragenen Krankheiten sterben oder leiden.

Der Bericht unterstreicht, was Menschen, die an vorderster Front vom Klimawandel betroffen sind, seit Jahren betonen. Diejenigen, die an den Rand gedrängt, diskriminiert und von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden, sind diejenigen, die am meisten leiden und die gravierendsten Auswirkungen noch zu spüren bekommen werden. Die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht überall gleich stark zu spüren, wobei die “Brennpunkte menschlicher Verwundbarkeit” vor allem in West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien, Mittel- und Südamerika, den kleinen Inselentwicklungsländern und der Arktis zu finden sind. Die beobachteten Auswirkungen von Hitzewellen in städtischen Gebieten konzentrieren sich auf die wirtschaftlich und sozial ausgegrenzten Bewohner, wie z. B. diejenigen, die in informellen Siedlungen leben.

Mit Blick auf die Zukunft enthält der Bericht erschreckende Prognosen darüber, was passieren wird, wenn die Welt ihren Kurs nicht ändert: Das Aussterben von Arten, die Zerstörung ganzer Ökosysteme und die Unbewohnbarkeit von Teilen der Welt, entweder weil sie für den Anbau von Nahrungsmitteln ungeeignet sind oder weil die Hitze und Feuchtigkeit es dem menschlichen Körper unmöglich machen abkühlen zu können.

So würde zum Beispiel ein Temperaturanstieg von mehr als 1,5°C das Risiko gleichzeitiger Ernteverluste von Mais in den wichtigsten Nahrungsmittel produzierenden Regionen erhöhen. Dies würde die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben, das Einkommen der Haushalte schmälern und zu Unterernährung führen, wenn keine wesentlichen Anpassungen vorgenommen werden, insbesondere in tropischen Regionen. Bis zum Jahr 2050 würden jedes Jahr mehr als 250.000 Menschen sterben, mehr als die Hälfte davon in Afrika, und zwar aufgrund von Hitze, Unterernährung, Malaria und Durchfallerkrankungen, die durch den Klimawandel verursacht werden.

Bei einer Erwärmung von 1,5 °C werden zwischen 9 % und 18 % der Weltbevölkerung mindestens einmal in fünf Jahren regelmäßig extremer Hitze ausgesetzt sein, wobei sich die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung bei einer Erwärmung um 2 °C fast verdreifacht. Wenn der Temperaturanstieg etwa 2°C erreicht, würde die Zahl der Tage, an denen die Menschen extremer Hitze ausgesetzt sind, wahrscheinlich exponentiell von 15 Millionen Personentagen auf 170 Milliarden Tage ansteigen. Indien und die afrikanischen Länder südlich der Sahara wären mit am stärksten betroffen.

Mittelfristig wird davon ausgegangen, dass etwa eine Milliarde Menschen in niedrig gelegenen Städten und Siedlungen, einschließlich kleiner Inseln, durch küstenspezifische Klimagefahren gefährdet sind. Der Anstieg des Meeresspiegels stellt eine existenzielle Bedrohung für einige kleine Inseln und niedrig gelegene Küsten dar.

Da die Auswirkungen des Klimawandels bereits jetzt stattfinden und sich mit zunehmender Erderhitzung weiter verschlimmern werden, zeigt der Bericht, dass die Regierungen unbedingt angemessene Maßnahmen ergreifen müssen, um die Menschen bei der Anpassung an diese Auswirkungen zu unterstützen. So haben es die Regierungen bisher versäumt, ausreichende Mittel für die Anpassung bereitzustellen, auch im Rahmen der internationalen Entwicklungshilfe. Dies muss sich jedoch ändern, da wirksame Anpassungsmaßnahmen die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte erheblich verringern können, wie die Ergebnisse des Berichts zeigen.

Der Bericht hebt hervor, wie Anpassungsmaßnahmen, die die negativen Folgen für verschiedene Gruppen nicht berücksichtigen, zu Fehlanpassungen führen können, die die Gefahren erhöhen, die Marginalisierung bestimmter Gruppen verstärken und Ungleichheiten vergrößern. Stattdessen ruft der Bericht dazu auf, Anpassungsmaßnahmen als “sektorübergreifende Lösungen zu konzipieren, die soziale Ungleichheiten angehen”, wie etwa solche, die Klimaanpassung in soziale Schutzprogramme und Ansätze zur Erhaltung und Wiederherstellung von Wäldern integrieren, sowie Wiederherstellungsansätze, die die Rechte indigener Völker und anderer lokaler Gemeinschaften vollständig respektieren. Der Bericht ruft zu umfassenden Planungen auf, die sich auf kulturelle Werte, indigenes Wissen und lokale Kenntnisse stützen.

Der Bericht macht deutlich, dass Klimaanpassungsmaßnahmen zwar wichtig, aber keineswegs ausreichend sind. Nicht alle Verluste und Schäden werden verhindert werden können, selbst bei wirksamer Anpassung, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen und marginalisierte Gruppen. Darüber hinaus erklärt der Bericht, dass die Fähigkeit von Menschen und Ökosystemen, sich an den Klimawandel anzupassen, begrenzt ist und dass einige Grenzen der menschlichen Anpassungsfähigkeit bereits erreicht sind oder schnell erreicht werden könnten. Die globale Erwärmung so weit wie möglich zu limitieren und den globalen Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen, bleibt daher das oberste Gebot. Es gibt sehr begrenzten Handlungsspielraum. Wenn die globale Erwärmung auch nur vorübergehend 1,5°C überschreitet, werden viele menschliche und natürliche Systeme mit zusätzlichen schwerwiegenden Risiken konfrontiert, da einige Auswirkungen zur Freisetzung weiterer Treibhausgase führen und einige der Effekte unumkehrbar sein werden.

Die Schlussbemerkung des Berichts hätte nicht deutlicher ausfallen können. “Die kumulierten wissenschaftlichen Beweise sind eindeutig: Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die planetare Gesundheit. Jede weitere Verzögerung bei abgestimmten, vorausschauenden globalen Maßnahmen zur Anpassung und Mäßigung wird ein kurzes und sich schnell schließendes Zeitfenster verpassen, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern.”


Weitere Informationen:

Amnesty International, COP26 outcome: 12 months to take climate action that delivers on human rights, https://www.amnesty.org/en/documents/ior40/4989/2021/en/ (ENG/FRA/SPA)

Ausführlichere Analysen zu Klimawandel und Menschenrechten: Amnesty International, Stop burning our rights: What states and corporations must do to protect humanity from the climate crisis, Juni 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/pol30/3476/2021/en/ (ENG/FRA/TUR)

Amnesty International Report, “It will be too late to help us once we are dead”: The human rights impact of climate change in drought-stricken southern Madagascar, Oktober 2021, https://www.amnesty.org/en/documents/afr35/4874/2021/en/ (ENG/FRA/MLG)

Amnesty International Foto-Sammlung, “Unliveable for humans”: A visual documentation of Jacobabad, one of the world’s hottest cities, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2021/10/pakistan-photo-essay-depicts-life-in-one-of-worlds-hottest-cities/