von Marie Luise L.
Staaten sind verpflichtet, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu verwirklichen. Dies gilt auch in Hinsicht auf die Menschenrechte, die durch den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und den Verlust der biologischen Vielfalt – drei Bedrohungen, die miteinander verknüpft sind – bedroht sind. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) hat 2022 das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Menschenrecht anerkannt. Daher sind Staaten gehalten, alles zu tun, um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken.[i]
Nach internationalem Recht[ii] sind Staaten verpflichtet, alle Menschen vor Menschenrechtsverstößen zu schützen, die von Unternehmen verursacht werden, einschließlich der Verstöße, die sich aus dem Beitrag von Unternehmen zum Klimawandel ergeben.[iii] Wirtschaftliches Handeln findet aber in globalem Rahmen in Strukturen statt, die außerhalb rein nationaler Gesetzgebung liegen.
Internationale Leitlinien wie ILO-Grundsatzerklärung über Unternehmen und Sozialpolitik, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, im UN Global Compact oder in der ISO 26000, sollen Orientierung bieten, um soziale und ökologische Unternehmensverantwortung sicherzustellen. [iv]
Die Umsetzung dieser völkerrechtlichen Verpflichtungen ist bisher unzureichend, international unterschiedlich und lückenhaft und verhindert nicht, dass Unternehmen entlang ihrer Lieferketten rücksichtslos handeln.[v] Die bisher bestehenden Regelungen sind nicht hinreichend effektiv, um Menschen, Umwelt und Klima vor schädlichen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns schützen.
Unternehmen setzen in fast allen Wertschöpfungsketten Treibhausgase und Methan frei. Die Einhaltung des 1,5-Ziels wird unterlaufen und das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt weltweit missachtet. CO2-Speicher wie Moore, Wälder oder Flusslandschaften mit Feuchtgebieten werden vernichtet.
In Kolumbien z.B. wehrt sich die Organisation FEDEPESAN seit vielen Jahren gegen die Zerstörung eines großen und ökologisch wertvollen Feuchtgebietes, informiert, leistet Aufklärungsarbeit und Landschaftspflege und geht z.B. juristisch gegen den staatlichen Ölkonzern Ecopetrol vor. Dies hat zu Folge, dass Aktivist*innen bedroht werden. Der Einsatz für Menschenrechte ist in Kolumbien lebensgefährlich, im Jahr 2023 wurden 127 Menschen getötet, die sich in verschiedenen Bereichen für Menschenrechte eingesetzt hatten.
Auch die notwendige Transformation unserer Gesellschaften hin zur Klimaneutralität muss menschenrechtskonform erfolgen. Der erhöhte Bedarf z.B. von Autoherstellern an Rohstoffen wie Kupfer und Kobalt für Elektromobilität führt zurzeit in der Demokratischen Republik Kongo, die diese Rohstoffe anbietet, zu massiven Menschenrechtsverletzungen[vi]. Weil Fördergebiete ausgeweitet werden, wurden Dörfer abgebrannt, Menschen zwangsumgesiedelt, sexualisierter Gewalt ausgesetzt oder misshandelt.[vii] Kinderarbeit ist in den Minen keine Seltenheit. Weltweit 160 Millionen Kinder[viii] arbeiten in den Wertschöpfungsketten der Produkte, die auch bei uns auf den Markt kommen.
Freiwillige Verpflichtungen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards vom Beginn der Wertschöpfungskette an haben in der Vergangenheit im Ganzen zu wenig befriedigenden Ergebnissen geführt. In Deutschland setzten nur ca. 20% der Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden diese Verpflichtungen um.[ix]
„Das Verhalten von Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen ist von entscheidender Bedeutung für den erfolgreichen Übergang der Union zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal und für die Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, zu denen auch ihre menschenrechts- und umweltbezogenen Ziele zählen. Dazu müssen die Unternehmen umfassende Verfahren zur Abschwächung der negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt durch ihre Geschäftstätigkeit in ihren Wertschöpfungsketten umsetzen, Nachhaltigkeit in Unternehmensführungs- und Managementsysteme einbeziehen und die Menschenrechte, das Klima und die Umwelt sowie die langfristige Widerstandsfähigkeit des Unternehmens bei geschäftlichen Entscheidungen berücksichtigen”[x], ist in der Begründung der EU-Kommission für ein Lieferkettengesetz formuliert.
Menschen in global arbeitenden Wirtschaftsbereichen arbeiten unter unwürdigen, gesundheitsschädigenden oder unfairen Bedingungen oder können von ihrem Lohn nicht leben. Textilwaren, angefertigt z.B. von Näherinnen ohne Arbeitsschutz in Bangladesch[xi], Kobalt, gefördert von minderjährigen Bergwerksarbeitern im Kongo, Fisch, gefangen von ausgebeuteten Matrosen in der internationalen Fischereibranche[xii] kommen auf unsere Märkte. Auch die nachgelagerten Sorgfaltspflichten (Entsorgung usw.) sind Teil der unternehmerischen Verantwortung. Daher ist eine gesetzliche Regelung nötig, um schädigendem Umweltverhalten, menschenrechtswidrigem Handeln und verantwortungslosem Desinteresse für die Klimaveränderung entgegenzuwirken. Zu effektiven Klimaschutzmaßnahmen gehört u.a., dass Unternehmen konkrete Klimaschutzpläne erarbeiten, umsetzen und einer behördlichen Kontrolle unterziehen, Risiken für Mensch, Umwelt und Klima in der Wertschöpfungskette analysieren und aktiv minimieren. Unternehmen müssen für ihr Handeln haften.
Das seit dem 1. Januar 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten: LkSG) regelt zum ersten Mal für Deutschland verbindlich, “welche Sorgfaltspflichten Unternehmen entlang der Lieferkette einhalten müssen.”[xiii] Verschiedene EU Länder haben nationale Sorgfaltspflichtengesetze erlassen, der nun die gemeinsame Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive: CSDDD) folgt. Diese garantiert für Unternehmen gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen im EU-Markt und Rechtssicherheit und soll menschenrechtswidrige Bedingungen in der Produktion von Waren, die auf den europäischen Markt kommen, bekämpfen.[xiv] “Zur Bekämpfung des Klimawandels werden alle Unternehmen im Anwendungsbereich verpflichtet, einen Klimaplan zu erstellen, um die Unternehmensstrategie im Einklang mit dem 1,5°C-Ziel auszurichten, zum Ziel der Klimaneutralität beizutragen und sich entsprechende Emissionsreduktionsziele zu setzen.” [xv]
Das EU-Lieferkettengesetz, dem im März 2024 die Mitgliedsstaaten der EU durch den Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit und der Rechtsausschuss des EU-Parlament zugestimmt haben, wird nun verbindlich. Es ist eine EU-weite gemeinsame Grundlage dafür, Unternehmen auf ihre menschenrechtlichen, klima – und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu verpflichten. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, sagt: “Dies wird positive Auswirkungen auf die Menschenrechte bei Unternehmensaktivitäten weltweit haben.”[xvi]
Die EU als “Wertegemeinschaft und weltweit größter Binnenmarkt mit einem globalen BIP-Anteil von 15 Prozent und Platz zwei des Welthandels nach China steht in besonderer Verantwortung.”[xvii] Neu und verbessert im Vergleich zum geltenden deutschen Gesetz ist erstens die die Verpflichtung von Unternehmen, Risiken für Menschenrechtsverletzungen und bestimmte Umweltschäden in ihren gesamten Lieferketten zu identifizieren, ihre Schwere zu beurteilen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Dies gilt für die vorgelagerte und zum Teil auch die nachgelagerte Lieferkette. “Zweitens gibt es nun grundsätzlich eine Haftungsregelung, durch die Betroffene Schadensersatz einklagen können, wenn der Schaden zu verhindern gewesen wäre.”[xviii] Bei transnationalen Sachverhalten gilt europäisches Recht. Bestimmungen zum Schutz von Unternehmen sind nach geltendem Recht eingebaut. Laut einer Analyse sind trotz der Aufweichung des ursprünglichen Vorschlags Verbesserungen im Bereich der Rohstoffförderung und der Textilproduktion sowie bei den Arbeitsrechten zu erwarten.[xix]
Trotzdem ist die Freude getrübt. Im Widerspruch zu dem im Koalitionsvertrag der deutschen Regierungsparteien formulierten Vorhaben einer wertegeleiteten Außenpolitik, die Menschenrechte in den Mittelpunkt des eigenen Handels stellen sollte, hat das Verhandlungsverhalten der Bundesrepublik Deutschland die insgesamt weiterreichende Vorlage deutlich verschlechtert und im Vorfeld der Abstimmung beinahe zu Fall gebracht. Dies, obwohl zum Jahresende 2023 bereits eine europäische Einigung erzielt worden war.
Zu den Verschlechterungen gehört, dass im Gegensatz zur vereinbarten Vorlage nur Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von 450 Mio. Euro erfasst werden (zuvor 500, 150 Mio. Euro). Gerade Unternehmen im Bergbau, im Agrarsektor und der Textilindustrie, wo Menschenrechtsverletzungen besonders häufig sind, werden dadurch von den Verpflichtungen ausgenommen.[xx] Auch wurden Pflichten der nachgelagerten Lieferkette ausgenommen (Entsorgung, Demontage, Recycling, Folgen usw., z.B. bleibt die Verwendung von Pestiziden unberücksichtigt) sowie bestimmte Formen von Anreizen. [xxi] Außerdem soll die Richtlinie in vollem Umfang erst 2032 gelten. Von Vornherein ausgeschlossen war und ist der gesamte Finanzsektor.[xxii]
Daher ist es offensichtlich: Bei aller Freude über den Erfolg ist das jetzt vorliegende Gesetz nur ein Anfang. Wirtschaftsunternehmen und Konzerne müssen ihr Handeln noch entschiedener auf das Wohl der Menschen, für eine gesunde Umwelt und für weltweite Klimagerechtigkeit ausrichten. Diese menschenrechtliche Verpflichtung von Industrie und Wirtschaft ist alternativlos angesichts der Klimakrise und der damit verbundenen Bedrohung von Menschenrechten und einer lebenswerten Zukunft für alle Menschen.
[i]https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/a-hrc-res-48-13.pdf
[ii]https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/publications/guidingprinciplesbusinesshr_en.pdf
[iii]https://amnesty-klimakrise.de/stop-burning-our-rights/# weitere-informationen
[iv]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/CSR-Allgemein/CSR-Grundlagen/csr-grundlagen.html
[v]https://www.ecchr.eu/fall/eu-lieferketten-gesetz/
[vi]https://www.amnesty.de/informieren/laender/demokratische-republik-kongo
[vii] ebd.
[viii]https://www.amnesty.de/informieren/themen/kinder-jugendliche
[ix]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/Hintergrund-und-Entwicklung/hintergrund-und-entwicklung.html
[x]https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:bc4dcea4-9584-11ec-b4e4-01aa75ed71a1.0007.02/DOC_1&format=PDF
[xi]https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/bangladesch-zehn-jahre-rana-plaza-unglueck-textilindustrie-arbeitsbedingungen
[xii]https://www.amnesty.de/arbeitsbedingungen-fischerei-ausbeutung
[xiii]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/Hintergrund-und-Entwicklung/hintergrund-und-entwicklung.html
[xiv]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Europa/Lieferketten-Gesetzesinitiative-in-der-EU/lieferketten-gesetzesinitiative-der-eu.html#doc8d39cd84-f2ab-4dc1-94b1-4982fc7c5232bodyText1
[xv] ebd.
[xvi]https://www.amnesty.de/deutschland-eu-lieferkettengesetz-verabschiedung-fortschritt-fuer-menschenrechte
[xvii]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Europa/Lieferketten-Gesetzesinitiative-in-der-EU/lieferketten-gesetzesinitiative-der-eu.html
[xviii]https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Europa/Lieferketten-Gesetzesinitiative-in-der-EU/lieferketten-gesetzesinitiative-der-eu.html
[xix]https://www.germanwatch.org/sites/default/files/briefing_lieferkettengesetz_und_nachhaltige_entwicklung.pdf
[xx]https://lieferkettengesetz.de/aktuelles/
[xxi] ebd.
[xxii]https://www.gls.de/privatkunden/gls-bank/aktuelles/neuigkeiten/eu-lieferkettengesetz-bislang-ohne-finanzsektor/, Stand 29.11.2023