12. September 2024 | Von Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International | Der Beitrag wurde ursprünglich von Newsweek veröffentlicht
Mehrere Kriege, extreme Ungleichheit, ein drohender Klimakollaps und neue Technologien, die unsere gesamte Existenz verändern können, haben die Menschheit an einen entscheidenden Wendepunkt gebracht. Wir haben keine Zeit mehr für Selbstgefälligkeit oder Miesmacherei, sondern nur noch eine gemeinsame Verantwortung für die Rettung der Welt, die wir den künftigen Generationen schulden.
Untätigkeit und unzureichende Bemühungen, diesen Bedrohungen zu begegnen, haben uns in eine Welt des Aufruhrs geführt. Die Spannungen und Ungewissheiten erzeugen weit verbreitete Ängste und lassen die Menschen wütender, desillusionierter und gespaltener werden.
Gibt es einen „besseren“ Zeitpunkt für den UN-Zukunftsgipfel? Er findet diesen Monat statt und soll eine „einmalige Gelegenheit“ sein, „um das geschwundene Vertrauen wiederherzustellen und zu zeigen, dass die internationale Zusammenarbeit vereinbarte Ziele effektiv erreichen und neue Bedrohungen und Chancen bewältigen kann“.
Als die Menschheit in den 1940er Jahren das letzte Mal mit einer vergleichbaren Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert war, versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der Welt, um den Grundstein für ein System zu legen, von dem sie hofften, dass es künftige Generationen vor Hass, Angst und Not schützen würde. Die im Entstehen begriffene Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete die Völkermord- und die Genfer Konvention sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – eine globale Struktur, die, wenn auch unvollkommen, den universellen Schutz der Menschenrechte festschrieb.
Sechsundsiebzig Jahre später stehen wir vor einem weiteren einmaligen Moment. Die Staats- und Regierungschefs der Welt werden wieder zusammenkommen, um eine angeblich bessere Zukunft zu gestalten. Doch der jüngste Entwurf des Pakts, den sie auf dem Gipfel verabschieden werden, lässt ernste Zweifel an ihrer Fähigkeit aufkommen, dieses Versprechen einzulösen.
In erster Linie zeigt er, dass die Staats- und Regierungschefs nach wie vor nicht in der Lage oder nicht willens sind, auf die katastrophale Notlage von Millionen von Menschen zu reagieren, die von den Konflikten in Gaza, Myanmar, Sudan und der Ukraine betroffen sind. Der aktuelle Entwurf lässt Verpflichtungen zur Stärkung der internationalen Justiz und Vorschläge zum Umgang mit dem Veto, das den UN-Sicherheitsrat häufig lähmt, vermissen.
Der Entwurf enthält wichtige Verpflichtungen und interessante Vorschläge, wie die Ausweitung der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat auf einen afrikanischen Staat, die Reform des globalen Finanzsystems und die Forderung nach neuen Indikatoren zur Messung der Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung, die umfassender sind als eng gefasste Maßstäbe wie das BIP. Er unternimmt auch konzertierte Anstrengungen zur Wiederbelebung des maroden multilateralen Systems, das für die globale Stabilität so wichtig ist.
Sie bietet jedoch keine integrierte und überzeugende Vision unserer Zukunft und wiederholt häufig Verpflichtungen, die die Staaten vorsätzlich ignoriert und wiederholt verletzt haben. So ist beispielsweise das bescheidene Versprechen, „die Bemühungen“ zur Wahrung der Grundfreiheiten zu verstärken, angesichts des katastrophalen Zustands des Menschenrechtsschutzes in der ganzen Welt fast lächerlich.
Der Pakt bekräftigt zwar die Bedeutung rascher und wirksamer Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, der Umweltzerstörung und des Verlusts der biologischen Vielfalt, versäumt es aber, mehrere wichtige Hindernisse zu beseitigen. Obwohl der Entwurf auf den Beschluss der COP28 zum „Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen“ verweist, ist er sogar noch schwächer als diese Vereinbarung, die bereits durch eine Reihe von Ausstiegsklauseln untergraben wurde. Der Pakt sollte mutig und zukunftsorientiert sein und nicht eine Aufbereitung eines bestehenden, verwässerten Abkommens.
In den letzten zehn Jahren haben die Vereinten Nationen absichtlich Barrieren errichtet, um die Beteiligung der Zivilgesellschaft an UN-Verfahren zu verhindern. Der Entwurf des Paktes wird daran nichts ändern, da er nur ein laues Bekenntnis zu mehr Zusammenarbeit enthält. Wenn die UNO den Interessengruppen, die auf eine mutigere Vision und wirksamere Lösungen drängen, nur ein Lippenbekenntnis abgibt, läuft sie Gefahr, diese historische Chance zu verspielen, den Kurs der Welt zu korrigieren.
Wie viele andere Nichtregierungsorganisationen ist auch Amnesty International im Vorfeld des Gipfels auf Hindernisse gestoßen, als es darum ging, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Wir haben die Gelegenheit begrüßt, eine Reihe von Empfehlungen einzureichen, um die Menschen in den Mittelpunkt des Paktes zu stellen, bedauern jedoch sehr, dass viele Organisationen der Zivilgesellschaft, die zu dem Entwurf konsultiert wurden, bei den Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs über das endgültige Abkommen ausgeschlossen sein werden.
Dennoch werden wir nie aufhören, nach einer besseren Welt zu streben. Da die Menschheit vor Herausforderungen steht, die in den 1940er Jahren unvorhersehbar waren, hat Amnesty International eine Kommission für das Jahr 2048 eingerichtet, um ein globales Regierungssystem des 21. Jahrhunderts zu entwerfen, das auf den Menschenrechten beruht. Unsere Kommission wird über den Aufbau, die Mittelausstattung und die Funktionsweise eines solchen Systems beraten, um sicherzustellen, dass es voll und ganz in der Lage ist, die universellen Menschenrechte in dieser Ära des schnellen und unvorhersehbaren Wandels zu wahren.
Denn wir und Menschenrechtsverteidiger*innen auf der ganzen Welt wissen, dass die Zeit zum Handeln jetzt gekommen ist. Von Fridays for Future und den Mädchen aus dem Amazonasgebiet, die ihr Leben riskieren, um den Regenwald zu verteidigen, bis hin zu denjenigen, die sich mutig dem Krieg des Iran gegen die Frauen widersetzen, und den Millionen, die ein Ende des Gemetzels im Gazastreifen fordern, leisten junge und alte Menschen Widerstand gegen lokale und globale Angriffe auf die Menschenrechte. Sie sind unsere größte Ressource im Kampf für den Schutz und die Wahrung der Rechte aller Menschen.
Im Vorfeld des Zukunftsgipfels müssen die Mitgliedsstaaten ihr Versprechen aus der UN-Charta einhalten, „den Völkern der Welt“ gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein, und damit beginnen, die Grundlagen für eine nachhaltige, auf den Menschenrechten basierende Zukunft zu schaffen.